Am 6. April 2022 hat die Landesregierung ein lange angekündigtes Projekt umgesetzt. Die Wahlrechtsreform des Landes Baden-Württemberg wurde schon über zum wiederholten Mal im Koalitionsvertrag festgehalten und jetzt von den Regierungsparteien Die Grünen und der CDU in Zusammenarbeit der mit SPD umgesetzt. Die Zusammenarbeit mit der Oppositionspartei SPD war nötig, um die erforderliche Dreiviertel Mehrheit bei der Änderung der Landesverfassung umzusetzen, die es ab sofort ermöglicht, dass man bereits mit 16 Jahren die Landesregierung wählen darf.
Neben der Herabsetzung des Wahlalters, das von uns als Partei der Humanisten auch bundesweit gefordert wird, wurde auch ein Zwei-Stimmen-System eingesetzt, welches wie auf Bundesebene die Möglichkeit eines Landesliste zusätzlich zum Direktkandidaten bietet. Damit wird es bei der nächsten Landtagswahl 2026 in Baden-Württemberg Kleinparteien möglich sein landesweit auf den Wahlzetteln stehen zu können, ohne die bisher 10.500 Unterstützungsunterschriften sammeln zu müssen oder Kandidaten in jedem der 70 Wahlkreise per Aufstellungsversammlung wählen zu müssen. Gerade bei Parteien, die sonst nur wenige Wahlkreise abdecken können (wir konnten wegen der Corona-Pandemie bei der Landtagswahl 2021 nur in 3 Wahlkreisen antreten) besteht die Möglichkeit landesweit gewählt zu werden und damit die Erfolgsaussichten auf die Überschreitung der 5%-Hürde deutlich zu erhöhen.
Der in dieser Reform genannte Grund für die Wahlrechtsreform ist für mich allerdings nur bedingt nachvollziehbar. Als Grund für die lange überfälligen Reformen wurde die geringe Besetzung von Frauen im höchsten Parlament in Baden-Württemberg genannt. Das neue Wahlrecht soll den Landtag weiblicher und jünger machen, da nun landesweite Listen von landesweiten Versammlungen der Parteien gewählt werden. Die Direktkandidaten wurden dagegen immer von den Mitgliedern des jeweiligen Wahlkreises in kleineren Aufstellungsversammlungen gewählt ohne einen Blick auf die landesweite Parteiaktivität.
Ich sehe hier eine grün geführte Argumentation, die allerdings nur marginale Auswirkungen auf die Geschlechterverteilung der Fraktion der Grünen haben wird. Die Grünen sind bereits jetzt mit fast 50% Frauen die Fraktion im Landtag, die am ehesten ausgeglichen aufgestellt ist. Eine Landesliste wird meiner Meinung nach nur wenig Einfluss auf die Frauen-Quote der männlich dominierten CDU oder der FDP haben. Von der AfD, die aktuell am wenigsten weibliche Abgeordnete stellt, mal ganz abgesehen.
Es darf keinesfalls der Eindruck entstehen, dass durch diese Wahlrechtsreform alles getan wurde, um die Frauen in Baden-Württemberg besser zu repräsentieren oder eine stärkere Beteiligung zu sichern. Stattdessen müssen weiter strukturelle Probleme gelöst werden, um beispielsweise Kinderbetreuung zu vereinfachen, Stigmata gegenüber Alleinerziehenden zu lösen und Vätern wie Müttern mehr Möglichkeiten zu Elternzeit zu geben.
Ein weiterer Kritikpunkt an der Wahlrechtsreform ist die mögliche Aufblähung des Landtags durch das vom Bundeswahlrecht inspirierte Konzept. Dabei kommt es wie auf Bundesebene zu Ausgleichs- und Überhangsmandaten, die dann die Sitze entsprechend erweitern. Das Problem steht auf Bundesebene noch auf der Tagesordnung und soll hier laut Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung ebenfalls in einem neuen Wahlrecht bzw. einer Wahlrechtsreform auf Bundesebene geklärt werden.
Das neue Wahlrecht ist auch weiterhin nicht inklusiv genug. Alle Stimmen, die an Parteien unter der 5%-Hürde gehen, sind nach wie vor ersatzlos verloren. Wähler der Kleinparteien werden mit diesem Wahlrecht immer wieder vor die Wahl gestellt das zu Wählen, was sie haben wollen und welche Partei „die höchste Chance auf Einzug“ hat. Entsprechende Modelle, die auch die 5-20% „Sonstige-Wähler“ inkludieren sind vorhanden. Ein Beispiel wäre das Präferenzwahlsystem (auch „Übertragbare Einzelstimmgebung„), welches im Falle vom Nichteintritt der Partei der Wahl die Ersatzstimme des jeweiligen Wahlzettels nutzt, um dessen Wahlentscheidung abzubilden.
Alles in Allem finde ich gut, dass wir nun die jüngeren und interessierten Bürger mehr mit einbeziehen und auch, dass man das Wahlrecht nach mehr als einem halben Jahrzehnt Diskussion endlich angefasst hat. Dadurch, dass die nächste Landtagswahl 2026 noch in etwas Entfernung ist, können bis dahin alle bürokratischen Notwendigkeiten entsprechend vorbereitet und angepasst werden. Ich freue mich schon jetzt auf den Wahlkampf um den Landtag 2026 in Baden-Württemberg.